Am 6. Oktober 1981 wurde der ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat während einer Militärparade erschossen. Zuvor hatten die Attentäter bei einer religiösen Autorität Rat eingeholt. Die Auskunft, die ihnen der blinde Scheich Omar Abd El-Rahman erteilte, war allerdings eindeutig zweideutig. Zwar bejahte er die allgemein gestellte Frage, ob es rechtens sei, einen gottvergessenen Führer umzubringen – ob Sadat zu dieser Kategorie gehörte, ließ er jedoch offen.
Die Bewunderung, die Sadat in Europa und Amerika genoss, wurde von seinen Landsleuten nicht geteilt. Von den epochalen Entscheidungen, die ihn im Ausland als weitblickenden Staatsmann auswiesen, sahen sie oft nur die Schattenseiten. Die Vertreibung der sowjetischen Berater und die Öffnung zum Westen hatten an der wirtschaftlichen Misere wenig geändert.
Der Friede mit Israel hatte Ägypten in der arabischen Welt
isoliert. Überdies schien es, als habe Menachem Begin seinen Vertragspartner
hereingelegt. Zwar ging der Abzug der israelischen Truppen aus der
Sinai-Halbinsel programmgemäß vonstatten. Aber der zweite Teil des Abkommens
von Camp David, das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, blieb unausgeführt.
Nicht einmal mit der „gelenkten Demokratie“, die den
autokratischen Herrschaftsstil seines Vorgängers ersetzte, machte sich Sadat
beliebt. Statt sich über die Lockerung der Zügel zu freuen, weckte sie bei den
Unzufriedenen Appetit auf mehr. Zu ihnen gehörten auch die islamischen
Fundamentalisten, vor allem die „Muslimbruderschaft“.
Ihre Ziele waren die Säuberung der Gesellschaft von
westlichen Einflüssen, eine am islamischen Recht der Scharia orientierte
Theokratie und die Wiedererrichtung des Kalifats. Sadat war keineswegs der
erste ägyptische Staatschef der mit den Muslimbrüdern zusammenstieß. Zwei
Premierminister des Königs Faruk wurden von ihnen erschossen. Im Januar 1954
war die Bruderschaft verboten worden, ihre Führer und Hunderte von Mitgliedern
verschwanden im Gefängnis. Die frommen Brüder rächten sich durch zwei
Mordanschläge, denen Nasser nur durch Zufall entgangen war. Sadats Versuche,
seine Gegner mit Milde zu gewinnen - er ließ die Inhaftierten aus dem Gefängnis
und gab sich ganz als gläubiger Muslim -, schlugen fehl. Sie nahmen ihm übel,
dass seine Politik westliche Sitten ins Land brachte.
Als sich Sadat Anfang 1980 großmütig bereit erklärte, dem
todkranken Schah Asyl zu gewähren und kurz darauf den Bau einer
interkonfessionellen Begegnungsstätte auf dem Sinai ankündigte, reagierte die
orthodoxe Presse mit einem Wutschrei. Am 3. September 1981 schlug Sadat zurück.
In einer großangelegten Polizeiaktion ließ er 3000 Fundamentalisten –
Geistliche, Politiker, Journalisten und Studenten – verhaften. Zu ihnen gehörte
auch Mohammed, der ältere Bruder von Khaled Ahmed Shawki El-Islambouli, einem
23jährigen Oberleutnant der ägyptischen Armee, der wahrscheinlich auf Betreiben
seines politisch aktiven Bruders einer fundamentalistischen Zelle beigetreten
war, in der die Beseitigung des Präsidenten offen erörtert wurde. Verschiedene
Methoden wurden erwogen und wieder verworfen, darunter auch der Abschuss seines
Hubschraubers und ein Raketenangriff auf sein Ferienhaus.
Jehan Sadat, die Witwe des Ermordeten, erinnerte sich
später: „Der 6. Oktober gehörte zu den wenigen Tagen von Tausenden, an denen
ich nicht um das Leben meines Mannes bangte. So sicher war ich, dass Anwar an
diesem ganz besonderen Tag keine Gefahr drohte, dass ich beinahe nicht an der
traditionellen Militärparade in Nsr City teilgenommen hätte. Stattdessen wollte
ich mir die Parade mit Anwars Zustimmung gemeinsam mit meinen drei Töchtern im
Fernsehen ansehen. Weil mir ein Sicherheitsoffizier Vorwürfe machte, als er
entdeckte, dass ich nicht beabsichtigte, mit Anwar an der Feier teilzunehmen,
änderte ich meinen Entschluss in letzter Minute und fuhr doch noch hin.“
Als Khaled zur Parade am 6. Oktober eingeteilt wurde, mit der
die Streitkräfte alljährlich ihre Anfangserfolge im Krieg von 1973 feierten,
waren sich die Betbrüder keineswegs einig.
Abd El-Salem Farag, der geistliche Steuermann der Truppe,
hielt die Gelegenheit für günstig und setze sich durch. Khaled sollte bei der
Parade einen Lastwagen kommandieren. Die Anordnung, keine scharfe Munition
mitzuführen, war die geringste Hürde. Schwieriger war es, die übrige Besatzung
des Lastwagens gegen drei Mitverschwörer - den Sergeanten Hussein Abbas
Mohammed, den Ingenieur Ata Tayel Hemida Raheel und den Buchhändler Abd
El-Salam Abd El-A’al, keiner von ihnen älter als dreißig Jahre - auszutauschen.
Doch es gelang, und der Fahrer war nicht in das Komplott eingeweht.
Als der LKW an der Tribüne vorbeifuhr, zog Khaled seinen
Revolver und zwang den Fahrer anzuhalten. Danach sprang er aus dem Wagen, lief
auf die Tribüne zu und schleuderte eine Handgranate in Richtung des
Präsidenten. Im gleichen Augenblick eröffnete Abbas Mohammed, ein mehrfach
ausgezeichneter Scharfschütze, das Feuer. Schon der erste Schuss aus seinem
Maschinengewehr traf Sadat am Hals. 30 Sekunden beherrschten die Verschwörer in
dem heillosen Durcheinander die Szene. Khaled hatte schließlich die Bühne
erklommen und schoss Kugel um Kugel in den zusammengesunkenen Körper des
Präsidenten.
Da er eine neue, in London geschneiderte Uniform trug und
nicht dick erscheinen wollte, hatte Sadat abgelehnt, eine kugelsichere Weste zu
tragen. Außer ihm kamen sieben Menschen ums Leben; 28, darunter Vizepräsident
Mubarak, wurden verletzt. Nach der Verhaftung seines Bruders hatte Khaled in
sein Tagebuch eingetragen: „Der höchste Lohn winkt einem Gläubigen, wenn er im
Namen Gottes tötet oder getötet wird.“
Auf die Frage, ob er denn gar nicht an seine Familie gedacht
habe, antwortet er: „Ich habe ihn umgebracht, aber schuldig bin ich nicht. Was
ich getan habe, geschah für meinen Glauben und mein Vaterland.“ Der Staatsanwalt
wollte wissen, ob es nicht unmoralisch sei, den Mann zu töten, der Ägypten den
Weg zur Demokratie gewiesen habe. „Von welcher Demokratie sprechen Sie? Etwa
von der englischen, wo das Oberhaus soeben ein Gesetz verabschiedet hat, das
die Homosexualität legalisiert? Ist das
Demokratie?“
Von den 24 Angeklagten wurden die vier Täter und Farag zum
Tode verurteilt. Die beiden Soldaten wurden am 15. April erschossen, die drei
Zivilisten gehenkt. Alle anderen erhielten lange Freiheitsstrafen. Nur zwei der
Angeklagten wurden freigesprochen. Einer von ihnen war der blinde Scheich, den
die Attentäter um ein Gutachten gebeten hatten.
Im Frühjahr 1995 saß er wieder auf der Anklagebank, diesmal
in New York. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, bei dem Bombenanschlag auf
das World Trade Center die Hand im Spiel gehabt zu haben und darüber hinaus
einen Komplott islamischer Fundamentalisten für weitere Terroraktionen seinen
Segen gegeben zu haben. Diesmal wurden er und seine Gefolgsleute zu langen
Gefängnisstrafen verurteilt.
Heutzutage sind die Muslimbrüder an der Macht. Und Frau
Merkel schüttelte dem Muslimbruder Mursi sogar die Hand und empfing ihn mit militärischen Ehren. Was für ein Schlag ins Gesicht all derer, die für die Demokratie angetreten waren.