Als das Refugee-Protest-Camp am Oranienplatz in Kreuzberg
noch in den Kinderschuhen steckte, gehörte ich, wie viele andere, zu den
Supporter_innen, die teils in verschiedenen Arbeitsgruppen aktiv waren oder
auch einfach nur hin und wieder eine Schicht im Infozelt übernahmen. Ich
verbrachte viel Zeit dort, eigentlich jede freie Minute. Schon von Anfang an
waren wir Supporterinnen* vielen Anmachen, Sprüchen, Annäherungen und
Berührungen von männlichen Refugees/ Supportern ausgesetzt. Ich persönlich habe
mir Anfangs nicht so viel daraus gemacht, da ich nie ein Mensch mit
Berührungsängsten war.
Doch mit der Zeit, nach ein oder zwei Monaten, wurde das
Verhalten auf Dauer doch sehr unangenehm. Es wurde wie selbstverständlich ein
Arm um mich gelegt, wie selbstverständlich umarmte man sich, küsste man sich
auf die Wange. Zu der freundschaftlichen und kuscheligen Umgangsweise im Camp
passte dieses Verhalten sehr gut. Daher war es schwierig, erstens überhaupt
diese Formen der Übergriffe als solche wahrzunehmen, genauso aber sich
schließlich dagegen zu wehren. Ich bekam langsam mit, dass immer mehr Frauen*,
die supporteten, vom Camp weg blieben. Im direktem Umfeld bekam ich einen
konkreten Fall von Stalking mit, bei dem sich die Betroffene allerdings nicht
wehrte, da sie Sorge hatte, als „weiße“ Supporterin* ihren Aufgabenbereich,
nämlich einfach zu unterstützen, zu überschreiten. Weiterhin ging ich
regelmäßig zu meinen Schichten, bestärkte die Betroffene darin, sich an
jemanden innerhalb des Camps zu wenden, tat aber weiterhin nichts. Mein
persönlicher Kontakt zu besonders einem Mann innerhalb der Campstruktur wurde
sehr eng, bis es schließlich zu der Situation kam, dass er sich nahm, was ihm,
seiner Ansicht nach, zustand.
Nachdem es mir
gelungen war zu flüchten, wandte ich mich sofort an Menschen aus meinem
direkten Umfeld. Ich hatte bis dahin aufgrund meiner politischen
Auseinandersetzung mit sexuellen Übergriffen und „Rape“ sowie durch die
feministische Erziehung meiner Mutter, gelernt, diesen Vorfall nicht für mich
zu behalten, sondern mich an Menschen, denen ich vertraue, zu wenden. Das tat
ich nun, ein Teil dieser Menschen waren ebenfalls Aktivistinnen* im
Refugee-Protest-Camp. Die ersten Reaktionen auf mein Erlebnis waren
erniedrigend und beschämend. Es reichte von „du bist ja auch freiwillig in die
Wohnung gegangen“ bis „ich habe den Eindruck, du willst das“. Glücklicherweise
gab es auch Menschen um mich herum, die mich großartig unterstützt haben und
die mir eine Menge Kraft gegeben haben. Ich hatte für mich entschieden, nicht
zur Polizei zu gehen, da ich mich den Verhören nicht aussetzen konnte und
wollte. Trotzdem wollte ich nicht untätig bleiben und wandte mich an weiblich
sozialisierte Personen innerhalb der Campstruktur, denen ich vertraute und
zutraute professionell und verantwortungsvoll mit meiner Situation umzugehen.
Was nun folgte, war fast schlimmer, als die Tat selbst.
Ich wurde gebeten,
den Vorgang detailliert zu beschreiben. Es gab immer wieder Gespräche
abwechselnd mit ihm und mir. Ihm wurde immer wieder die Möglichkeit gegeben,
sich zu äußern, zu leugnen und mich als berechnendes Wesen darzustellen. Mir
wurde ebenfalls detailliert berichtet, wie er die Situation geschildert hat.
Der Vorfall wurde weder publik gemacht, noch wurde mir die Garantie gegeben,
mich frei auf dem Gelände zu bewegen. Mit dem Resultat, dass ich nie wieder
dorthin ging. Die Vorschläge reichten von „wir setzen uns alle gemeinsam
zusammen und sprechen darüber, war doch alles nur ein Missverständnis“ über
„beide Parteien tragen ihre Variante der Situation an unterschiedlichen Tagen
vor dem Plenum vor und dieses entscheidet dann“ bis zu „beide Parteien treten
gemeinsam vors Plenum und dann wird beraten“. Dieser Vorgang zog sich
unglaublich lange hin und ich hatte währenddessen immer den Eindruck, dass er
mehr geschützt wird als ich. Irgendwann also zog ich mich zurück, kapitulierte.
Warum ich nun doch möchte, dass diese Geschichte publik
wird, liegt daran, dass ich hundertprozentig weiß, dass ich zu diesem Zeitpunkt
bereits der dritte „Rape“-Fall innerhalb des Refugee-Protest-Camps war.
Inzwischen ist die Anzahl der Fälle wohl gestiegen. Es heißt, dass sich in die
besetzte Schule keine Frau* traut, da sie dort „sofort vergewaltigt würden“.
Es werden immer
weniger Supporterinnen*, da vielen ähnliches zugestoßen ist und sie für sich
entschieden haben, dem Camp den Rücken zu kehren. Ich habe ebenfalls
Informationen darüber, dass es inzwischen Aufklärungs-Workshops zum Thema
„Rape“ gibt, allerdings werden diese wohl überwiegend von Frauen* besucht und
bilden keineswegs die Männer der Struktur.
Auch wenn mir bewusst
ist, dass ich mit starken Anschuldigungen an das Camp und die organisatorische
wie politische Struktur heran trete und damit eine Bewegung, die es ohnehin
nicht leicht hat, gewissermaßen schwäche, halte ich es für wichtig darüber zu
informieren, in welche Gefahr sich eine Frau* begibt, sobald sie sich dort
engagiert.
Quelle: http://de.indymedia.org/2013/05/345257.shtml
Quelle: http://de.indymedia.org/2013/05/345257.shtml