Freitag, 14. Oktober 2011

Das Zimtmädchen

Zwei Uhr Nachts. Ich liege rücklings zwischen alten Mülltonnen und betrachte den gewaltigen Sternenhimmel über mir. Krampfhaft versuche ich darüber nachzudenken wie es denn dazu kommen konnte. Da war jenes Zimtmädchen das mir sein Zuhause zeigen wollte. Beständig wie eine Motte dem grellen Licht folgte ich der jungen Frau.
Die mehr als merkwürdige Wohnung befand sich allerdings auf dem Dachboden des alten steinernen Hauses.
Eine gewaltige schindelgedeckte Mansarde, eine richtige Vogelherberge.
„Ich muss ihnen meinen Vater zeigen“, mit diesen Worten deutete das Zimtmädchen mit ihrer weißen Hand zu einem der hohen Fenster hinauf. Oben auf der Vorhangstange saß nämlich ihr Vater.
„Er liebt die Vogelperspektive müssen sie wissen.“
„Tatsächlich? Warum denn das?“
„Er fühlt sich eben einfach wohl da oben“, war ihre schlichte Antwort.
Ich hatte plötzlich das merkwürdige Gefühl in einer zoologischen Station zu sein.  Überall Vogelnester, Ketten, Kugeln, Hängelampen. Und dann dieses Ausschlüpfen der kleinen Vögel, wahre Scheusale an Gestalt und Gefieder. Man konnte in diesen Monstren mit den riesigen, phantastischen Schnäbeln, die sie sofort nach ihrer Geburt weit aufrissen, um in den Untiefen ihrer Schlünde gefräßig zu zischen noch keine Pfauen, Fasanen, Häher oder Kondore erkennen. Aus ihren Nestern reckte diese Drachenbrut auf dünnen Hälsen die blinden, mit dünnem Flaum bedeckten Köpfe, lautlos quakend aus stummen Kehlen.

Mein Vater ist Ornithologe müssen sie wissen, seit dem er aber pensioniert wurde, ist er zumindest ein bisschen seltsam geworden.“
„Interessant, er sieht tatsächlich aus wie ein Adler.“
„Er hat viele berühmte ornithologische Fachenzyklopädien geschrieben und er genießt immer noch ein sehr hohes Ansehen in der gesamten Fachwelt.  Allerdings kann er in diesem Zustand natürlich keine Vorträge mehr halten, so wie er das früher gerne getan hat.“

„Stimmt. Ich nehme mal an der Grund dafür ist, dass er sich in seiner Vergangenheit sosehr mit seinem Beruf identifiziert, sodass er selbst zum geflügelten Wesen wurde. Jede Tätigkeit formt eben den Menschen wie es so schön heißt. Das kann schon mal passieren, das ist aber kein Beinbruch. Ich kenne zum Beispiel einen Chirurgen der zum Skalpell geworden ist,  jetzt liegt er beständig in einer Schublade herum.“

Ein Dienstmädchen trat ein welches mit jungen und kühnen Bewegungen den Besen an langem Stiel über den Fußboden bewegte. Mit ihren ungestümen Bewegungen wirbelte sie, so weit ich mich erinnere die Luft dermaßen auf, bis mir schließlich ganz schwarz vor Augen wurde.  Das Nächste was ich dann sah, war eine riesige ägyptische Gottheit, die mich aus tiefen Augenhöhlen heraus musterte. Mit einem sehnsuchtsvollen Schmachten um ihre Lippen seufzte sie „Bringt ihn weg.“

Und nun lag ich in diesem Hinterhof auf diesem ungemütlichen kalten und feuchten Boden. Über mir glitzernder Sternenhimmel und um mich herum verstreut lagen überall duftende goldbraune Zimtstangen.