Dienstag, 9. Juli 2013

Ich bin jetzt ein Zenturio

Wolkenverhangener Himmel, klamme Kälte und schaurige Regentage. Germanien wie es leibt und lebt. Die zahlreichen Berichte hinsichtlich des gräulichen Klimas stimmen also doch. Pralle Sonne hat in diesem Land mit seinen dunklen Wäldern tatsächlich Seltenheitswert. Und in dieses unwirtliche Land hat man mich nun strafversetzt. Noch vor einem halben Jahr diente ich in Rom unter blauen Himmel in der berittenen kaiserlichen Garde. Der Dienst war zwar eintönig, um nicht zu sagen stinklangweilig. Aber ich liebe Pferde und habe grundsätzlich nichts gegen Langeweile. Und in meiner freien Zeit genoss ich das Leben in den Bädern und Tavernen Roms in vollen Zügen.


Bis zu jenem Tag, an dem man mir vorwarf, ich wäre im Dienst betrunken gewesen. Eine sehr schwere Anschuldigung, die, obwohl sie natürlich an den Haaren herbeigezogen war sofort die gewünschte Wirkung zeigte. Wie immer in solchen Fällen. Kurzum eine perfekt eingefädelte Intrige. Es gab sogar mehrere Zeugen, die allesamt den Vorwurf der Trunkenheit während des Dienstes bestätigten. Daher wurde ich vorläufig suspendiert. Warum das Ganze und wer dahinter steckte, weiß ich ehrlich gesagt bis heute nicht. Und wie sollte es anders sein, es trat tatsächlich ein, was ich insgeheim bereits befürcht hatte. Nach vier Wochen flatterte mir dieser Marschbefehl für Germanien ins Haus. Hätte man mich nach Mesopotamien versetzt, ich wäre glücklich gewesen, denn dort kämpfte unser Kaiser Marcus Ulpius Traianus, kurz Trajan genannt. Aber wer fragt schon einen gewöhnlichen Zenturio nach seinen Wünschen, wäre ja noch schöner.

Nun bin ich also tatsächlich in diesem düsteren Land stationiert. Seit dem Morgengrauen marschiere mit meiner Zenturie in feindlichem Terrain. Es handelt sich wieder einmal um eine dieser Strafaktionen jenseits der Grenze. Ganze vier Tage benötigten wir um allein in unser Einsatzgebiet zu gelangen. Wir, das sind die XXII Primigenia, die VIII Augusta, die I Minervia sowie unsere Auxiliartruppen. Den ersten Teil der Strecke in Feindesland legten wir mitsamt der Ausrüstung auf Schiffen zurück. Dabei kamen sowohl die leichten Liburnen als auch breite Lastkähne zum Einsatz. Es folgte ein langer Marsch durch die Pufferzone bis wir schließlich in das eigentliche Feindesland gelangten.

Auslöser dieser Militäraktion, wie sollte es auch anders sein, war wieder einmal die Zerstörung einiger unserer Wachtürme an der Grenze und der Angriff auf zwei Vorposten durch die Chatten. Die Chatten sind ein sehr stolzes und kriegerisches Volk in Germanien. Immer wieder haben sie blutige Aufstände angezettelt und sind kackfrech in römisches Hoheitsgebiet eingedrungen. Im Grunde habe ich sogar Verständnis für diese haarigen Kerle, denn schließlich ist es ja ihr Land, in das wir eingedrungen sind. Aber diese meine Meinung behalte ich natürlich für mich, ansonsten lande ich noch im Kolosseum und kann mein letztes Stündlein mit ausgehungerten Raubtieren genießen.

Seltsamerweise ist es dem römischen Reich auch unter Trajan bis jetzt noch nicht gelungen mit den aufsässigen Chatten einen dauerhaften Frieden zu schließen. Das soll sich jetzt ändern. Möglicherweise versuchen die Chatten ja von der Abwesenheit Trajans zu profitieren. Aber diesem erneuten Angriff der Barbarenhorden gilt es nun ein für allemal entgegenzutreten, so lautet zumindest die Order. Dieses Mal sollen wir ein sehr deutliches Zeichen setzen. Und die Legionen mitsamt der neuesten Bewaffnung, welche für diese Aktion ausgewählt wurden, können sich wahrlich sehen lassen. Eigentlich sollte ich daher stolz sein überhaupt dabei sein zu dürfen. Aber meine Begeisterung hält sich durchaus in Grenzen.

Ich diene in der XXII Primigenia. Diese Legion ist der Göttin „Fortuna Primigenia“ geweiht. Sie wurde 39 n. Chr., also weniger als achtzig Jahre zuvor, von Caligula gegründet. Man kennt diese als Legion der „ganz Harten“, die jedem Feind entschlossen entgegentreten.
Allerdings hat auch diese Legion bereits ruhmlose Zeiten kennengelernt; in den Jahren der „Bruderzwiste“ zum Beispiel, als sich nach Neros Tod die einzelnen Legionen gegenseitig bekämpften. Damals hat sich die Legion des Öfteren auf die falsche Seite gestellt. Doch sie hat ihren alten Glanz wieder erlangt, als sie während der Bataver-Revolte 70 n. Chr. als einzige Legion in Germanien nicht ausradiert wurde. Allein dies zeigt schon, aus welchem Holz die Legionäre der XXII Primigenia geschnitzt sind. Außerdem hatte sie wesentlichen Anteil am Sieg über den Usurpator Saturninus, der von seinen Truppen in Mogontiacum zum Kaiser ausgerufen worden war. Er wurde 89 n. Chr. besiegt, und Kaiser Domitian zeigte sich dankbar und verlieh der Legion den Ehrentitel „Pia Fidelis“.

Ich schaue mich um. Meine Legionäre marschieren mit siegessicheren Tritt. Ihre muskulösen Körper sind seit Jahren an das Leben im Grenzgebiet gewöhnt, was auch nicht zuletzt ihre Narben beweisen. Diese Männer deren Handwerk der Krieg ist freuen sich sogar endlich mal wieder an einer größeren Operation gegen den Feind teilnehmen zu können. Schließlich winkt ja jede Menge Ruhm und Ehre. Die zahlreichen Kolonnen marschieren seit Stunden durch ebenes Gelände. Das Hügelland wird immer flacher. In der Ferne kann man die dichten Wälder sehen, aus denen – den Berichten der Überlebenden zufolge – die Chatten ihre Angriffe starteten. Dorthin sind sie auch jedes Mal wieder verschwunden. Muränen gleich, die nach ihren Beutezügen blitzartig wieder in ihren Gesteinsformationen am Meeresgrund verschwinden.

Bis jetzt läuft alles wie geschmiert. Oberste Priorität hat im Moment unsere Marschordnung: Die Vorhut bildet wie immer die Reiterei. Ihre Aufgabe ist es uns vor eventuellen Hinterhalten zu bewahren. Es folgen die leicht bewaffneten Auxiliartruppen, dann die zahlreichen Kohorten der Legionen, schließlich der Tross sowie das gesamte Kriegsgerät. Ich als Zenturio marschiere weit vorn an der Spitze. Ich gebe meinen Männern den Takt vor und halte meine Soldaten unermüdlich dazu an die Umgebung zu beobachten, um somit feindliche Aktivitäten rechtzeitig ausmachen zu können. Auch unser stolzer Legat Titus Alfius Magnus auf seinem prächtigen Schimmel inmitten seiner Eskorte ist nicht zu übersehen. Er ist unter den Legionen bekannt als Spezialist in dieser Art der Kriegsführung, also Strafaktionen im Land der Barbaren. Er gilt zwar nicht gerade als Draufgänger dafür aber als kühler Stratege.

Unsere Legionssymbole flattern auf Standarten im Wind: der Halbgott Herkules und der Capricorn, ein Fabelwesen, halb Fisch, halb Steinbock. Vornweg natürlich der goldene Adler, das Feldzeichen Roms, das Herz der Legion. Er wird auf einem langen Stab vor den Soldaten der ersten Kohorte hergetragen. Den Adler zu tragen ist eine ehrenvolle Aufgabe, die der Aquilifer erfüllt. Den Helm des Aquilifer halten die Fänge eines Löwen, dessen Fell ihm wie ein Mantel über die Schultern fällt. Diesen Adler in der Schlacht zu verlieren, stellt die größte Schande dar, die einer Legion widerfahren kann. Der Adler ist weit mehr als ein Banner: Er ist der Geist der Legion, selbst beinahe göttlich. Wenn er vom Feind erobert oder zerstört wird, wird die Legion untergehen. Genauso wichtig ist das Bildnis unseres Kaisers, das auf einer Lanze mitgetragen wird. Es gilt als das Band zwischen dem Herrscher und seinen Legionen.

Feind in Sicht

Merkwürdigerweise scheinen die mächtigen grauen Wolken heute etwas anderes vorzuhaben als über einer blutigen Schlacht zu verharren. Die Sonne bricht tatsächlich durch. Es scheint also wirklich ein sonniger Tag zu werden. Sollten die Götter mit uns sein?

Plötzlich schreit jemand: „Feind in Sicht!“
Ich blicke nach vorne. Und tatsächlich, vor uns über den Hügeln sehe ich leichte Staubwolken auffliegen, welche uns deutlich die feindlichen Horden verraten. Sie sind zwar noch weit entfernt doch die Anzeichen sind unverkennbar. Und der Feind marschiert, so wie es scheint, direkt auf uns zu. Wenn sich die Chatten in diesem Tempo weiter in unsere Richtung bewegen, dann werden sie vorrausichtlich in etwa zwei Stunden bei uns eintreffen. Mittlerweile kehren auch die ersten Reiter der Vorhut wieder von ihrem Erkundungsritt zurück und bestätigen unsere Beobachtung.

Gleich darauf reitet unser Legat mit seiner Eskorte und seinen Marschällen auf einen nahe liegenden Hügel. Die Augen der Legionäre folgen ihnen. Die Chatten sind noch einige Kilometer entfernt, doch wie sich schnell herumspricht, bekommen sie vom Osten her Verstärkung. Das ist nicht ungewöhnlich. Die Stämme vereinen sich in der Regel aus taktischen Gründen immer erst kurz vor der Schlacht. Es dürften einige tausend Mann sein, die da auf uns zumarschieren, und sie halten direkt auf uns zu wie hungrige Wölfe.

Die Männer der XXII Primigenia, der VIII Augusta, der I Minervia sowie der Auxiliartruppen lassen den Legaten nicht aus den Augen, der nun vom Pferd aus seine Befehle erteilt. Einige berittene Unteroffiziere überbringen schließlich die genauen Anweisungen. Der Befehl lautet, den Hügel einzunehmen und sich auf der anderen Seite dem Feind gegenüber aufzustellen. Dort wird also die Schlacht geschlagen werden. Die Legion wartet auf den Feind, sie zieht ihm nicht entgegen, eine bewährte Methode. Man sollte immer selbst den Ort bestimmen, an dem die Schlacht geschlagen wird. Und man sollte sich immer erst dann auf einen Kampf einlassen, wenn man eine taktisch günstige Position bezogen hat. Und tatsächlich ist dieser Abhang gut gewählt, da er von strategischer Bedeutung ist. So befinden wir uns oberhalb des Feindes, was für unsere Bogenschützen sehr wichtig ist. Diese Position hat zudem den Vorteil, dass wir die Sonne, wenn sie denn bleibt im Rücken haben und das Himmelsgestirn somit den Feind blendet.

Aus den langen Schlangen der Legionäre schallen nun laut die Hörner und die Offiziere bellen ihre Befehle. Die Standarten zeigen auf den Hügel. Schnell und geordnet setzen wir uns in Marsch. Nach wenigen Minuten erklimmen wir den Hügel um befehlsgemäß den anderen Abhang zu besetzen. Oben auf dem Hügel halten die Fuhrwerke des Trosses an; sie werden von einigen Zenturien der Auxiliartruppen und den Legionären der VIII Augusta verteidigt.

Auf meinen Befehl hin heben fünfzig meiner Männer in Windeseile zum Schutz unserer Ausrüstung einen Graben aus. Es ergeht Befehl auch die Artillerie auf dem Hügel zu platzieren und zu montieren. Mit Artillerie sind hier die Scorpiones und ihre größeren Geschwister, die Ballistae gemeint. Sie sehen aus wie eine Armbrust auf einem Dreibein. Jede unserer Legion verfügt über mindestens sechzig solcher Geräte (eines für jede Zenturie). In diesem Fall aber sind es mehr, denn es kommen noch besonders schwere Scorpiones hinzu, die auf Karren montiert sind und von je zwei Pferden gezogen werden. Wie ich in Erfahrung bringen konnte wurde diese Distanzwaffe schon zur Eroberung von Dakien eingesetzt. In dem Karren befinden sich auch zwei Männer, von denen einer zielt und die Bolzen ausrichtet (quasi der „Kanonier“), der andere lädt nach. Auch hier hat man einen ausgeklügelten Mechanismus ersonnen, um die dicke Sehne zu spannen. Die Projektile sind sechzig Zentimeter lang, haben eine eiserne Spitze und sind unglaublich präzise. Die Männer die sie bedienen, können somit aus hundert Meter Entfernung einen Mann durchbohren.

Diese Waffen sind von unglaublicher Effizienz. So berichtet mir Elio, einer meiner beiden Leibwächter von einem Gotenhäuptling, der von solch einem Geschoss regelrecht durchbohrt wurde: Es durchschlug zuerst seine Rüstung, bohrte sich dann durch seinen Körper, trat an der Rückseite der Rüstung wieder aus und nagelte den Mann an einen Baum. Und werden diese Projektile gen Himmel gerichtet kann man die Reichweite sogar auf vierhundert Meter steigern. Geschossen wird etwa drei bis viermal pro Minute. Natürlich ist solch ein Schuss weniger präzise, aber auf den Gegner geht ein wahrer Regen von diesen Geschossen nieder, die mühelos Helm, Rüstung und Brustkorb durchbohren.

Unterhalb der Artillerie beziehe ich nun mit meinen Männern Stellung. Meine Truppe bildet damit die erste Abteilung von Legionären direkt hinter den Auxiliartruppen, die wie üblich in vorderster Front kämpfen müssen. In unserem Heer dienen die unterschiedlichsten Völkerschaften: Unmittelbar vor meiner Zenturie stehen Rhaeten. Ihre Standarten zeigen, dass es sich um die Cohors II handelt. Ihr Symbol ist ein Bär, der mit der Tatze zuschlägt. Die ovalen gelben Schilde tragen darüber hinaus noch einen roten Halbmond. Ich betrachte sie neugierig: Sie unterscheiden sich wirklich sehr von meinen Legionären. Sie tragen eine Kettenrüstung, kurze Hosen und ovale Schilde. Und sie sind ehemalige Barbaren, also Stämme, die bereits unterworfen wurden. Es ist ganz besonders praktisch, wenn es sich – wie in diesem Fall – um robust gebaute Germanen handelt. In den vordersten Reihen wird also ein Bruderkampf stattfinden – Germanen gegen Germanen. Wir Römer sind eben Pragmatiker. Wir setzen die Kampfkraft der alpenländischen Hilfstruppen gleich gewinnbringend ein, indem wir sie an die vorderste Front schicken.

Und der Feind rückt nun langsam aber zielstrebig näher. Die Chatten sind uns an Zahl überlegen: vermutlich um das Zwei- bis Dreifache. Angesichts dieser Übermacht wird aber keiner meiner Legionäre unruhig. Ich ziehe die Bänder meines Helmes fest und bewege probehalber den Kopf ein paar Mal hin und her, um zu sehen, ob mein Helm auch richtig sitzt. Die Bänder sind so eng gezogen, dass sie mir den Hals abschnüren. Das zieht natürlich die Aufmerksamkeit meiner Soldaten auf sich. Kein Wunder, denn mein Helm ist mit Adlerfedern geschmückt, die sich über mir wie ein brauner Fächer erheben. Das hat einen ganz simplen Grund: Meine Männer können mich somit im Schlachtgetümmel besser erkennen.

Der Psychokrieg vor der Schlacht

Die Chatten sind noch weit entfernt, doch man hört bereits das metallische Geräusch ihrer Rüstungen und Waffen. Mehrere Tausend Männer, bis an die Zähne bewaffnet, marschieren auf uns zu. Sie wollen uns in Stücke hauen. Diese Anspannung ist für uns allerdings nichts Ungewöhnliches. Nichtsdestotrotz ist dies ein äußerst heikler Moment, denn der psychologische Aspekt der Kriegführung ist niemals zu unterschätzen. Schließlich hält unser Legat an der Spitze der Truppen – bewusst ohne Eskorte – eine kurze Ansprache. Er wählt seine Worte mit Bedacht und spricht sie klar und deutlich aus, sodass man ihn auch noch in der hintersten Reihe hört. Mich interessiert diese Rede jedoch überhaupt nicht, ich habe einfach schon zu viele davon gehört. Denn jeder General wendet sich vor der Schlacht an seine Truppen, um sie um den Sieg zu bitten und ihnen gleichzeitig Mut zuzusprechen. Schöne Worte. Haha!

Mich interessieren vielmehr die Marschälle des Legaten, die sich ganz in der Nähe versammelt haben, die sogenannten Tribunen. Und sie gefallen mir nicht; es handelt sich bei diesen nämlich nicht um Soldaten, sondern um Politiker, Angehörige des Senates oder des Ritterstandes. Allesamt Müßiggänger, die im unverdienten Reichtum schwelgen. Ich hasse dieses Pack. Sie haben null Ahnung vom Kriegshandwerk und manche von ihnen schleppen ihre Lustknaben sogar auf den Feldzügen mit. Widerlich. Und doch sind diese Nichtsnutze meine Vorgesetzten, und ich bin ihnen bis auf den Tod Gehorsam schuldig.

Kaum hat der Legat die obligatorische Ansprache beendet, stoßen alle Legionäre wie immer einen machtvollen Schrei aus und schlagen rhythmisch mit der Lanze gegen den Schild. Ein beeindruckendes Spektakel. Mittlerweile ist der Feind bedrohlich herangerückt. Doch steht er nicht vor einem Hügel, sondern vor einem Wald römischer Schilde, gegen den die Lanzen schlagen, als wollten sie sagen: „Wir sind hier und warten auf euch, um euch kurz und klein zu schlagen!“

Auf beiden Seiten steigt nun das Adrenalin. Die Chatten reihen sich vor uns auf und antworten mit einem Lied, das die Heldentaten ihrer Vorfahren preist. Natürlich versteht kein Mensch was sie singen, denn der Schlachtgesang tönt aus Tausenden Kehlen. So machen sie sich gegenseitig Mut. Dann gehen sie zu düsteren Melodien über, die ihren Gegnern Angst und Schrecken einflößen sollen. Tatsächlich nutzen sie ihre Stimme wie ein Geschoss, das sich in die psychische Rüstung ihres Gegners bohrt. Reine Nervensache.

Ich sehe, dass die Standarten der Chatten Wolfs- oder Drachenschädel darstellen, die uns mit aufgerissenem Mäulern entgegenblicken. Doch dem nicht genug. An diesen auf langen Stangen sitzenden metallenen Schädeln sind lange Schläuche aus Stoff befestigt, die sich wie Windsäcke verhalten. Die Kerle drehen die Schläuche in den Wind, welche sich dadurch natürlich aufblähen. Dadurch entsteht ein lang gezogenes Heulen, das dem von Wölfen gleicht. Wenn diese Instrumente zu Hunderten oder gar zu Tausenden ertönen, und das tun sie, vermag das schon zu beeindrucken. Und so liefern sich die beiden gegenüberstehenden Heere zunächst einmal minutenlang eine Schlacht ganz besonderer Art.

Die Kriegsgesänge der Chatten werden nun immer lauter. Sie machen sich Mut. Jede Sekunde kann nun der Angriff erfolgen. Meine kampferprobten Männer wissen das. Schweißnasse Hände umklammern die Lanzen, trockene Kehlen schlucken. Die Chatten bewegen sich hin und her. Ihr Heer erstreckt sich, so weit das Auge reicht – ein wogender Wald aus Menschen. Und plötzlich greifen sie an. Mit lang gezogenem Geheul und voller Todesverachtung rennen Tausende Germanen auf unsere in vorderster Linie postierten alpenländischen Hilfstruppen zu. Schwerter blitzen in der Sonne, bunte Schilde tanzen auf und ab. Unsere vorderste Linie wird wie immer mit Lanzen gesichert. Jetzt sind die Chatten vielleicht noch 100 Meter entfernt, doch unser Angriffssignal für die Artillerie ertönt immer noch nicht. Unser Legat wartet den richtigen Moment ab, denn je näher die wütenden Horden herangerückt sind desto größer die mannstoppende Wirkung unserer Distanzwaffen. Dann endlich schreit er plötzlich den Befehl hinaus, der von den Befehlshabern der einzelnen Abteilungen wiederholt wird. Die gebogenen Hörner blitzen erneut in der Sonne während sie erklingen.

Es geht los. Die Scorpiones und Ballistae katapultieren Dutzende von langen Bolzen in die Luft, die über unseren Köpfen schwirren und dabei ein Geräusch wie ein Schwarm angreifender Hornissen erzeugen. Innerhalb weniger Sekunden regnen die Geschosse auf die Horden der Chatten nieder. Ein wahres Gemetzel – viele Männer fallen, als würden sie plötzlich von der Erde verschluckt. Die fliegenden Bolzen reißen Löcher in die Reihen der Angreifer. Trotzdem rücken sie unter dem Hagel der Geschosse weiter vor. Die Chatten stehen so eng beisammen, dass quasi jedes trifft. Und doch bleibt der Feind nicht stehen.
Erneut erschallen die Hörner. Dieses Mal steigt eine Wolke von Pfeilen aus den Stellungen hinter uns empor. Es sind unsere syrischen Bogenschützen, sie tragen spitze Helme, ihre Gewänder fallen bis auf den Boden. Zum dunklen Summen der fliegenden Bolzen über unseren Köpfen kommt also nun noch das Schwirren der Pfeile. Bei jedem Pfeilhagel fallen weitere Chatten um. Die Bogenschützen zielen genau. Der Umstand, dass der Tag recht windstill ist, hilft ihnen dabei. Die syrischen Bogenschützen gehören zu den besten überhaupt. Unentwegt schießen sie ihre tödlichen Pfeilwolken in Richtung der anstürmenden Horden ab.

Schließlich erklingen die Hörner ein drittes Mal und kurz darauf fliegen Steine über uns hinweg: die Schleudern der Balearen, die für ihr Geschick mit der Steinschleuder berühmt sind. Auch sie gehören zu unseren Auxiliartruppen. Es sind die besten der Besten. Es handelt sich bei den Balearen um Präzisionsschützen, jeder Wurf ein Treffer. Sie lassen die Schleuder nur zweimal über den Kopf kreisen, und das Geschoss fliegt mit enormer Geschwindigkeit los. Wenn es auf den Körper des Gegners trifft, geschieht dies mit solcher Wucht, dass die Haut aufreißt und sich über dem Projektil wieder schließt. Es kann also nicht leicht entfernt werden. Das Geschoss hat Form und Größe eines Kieselsteins, ist aber aus Blei. Mitunter laden die Soldaten die Geschosse mit ihren Flüchen auf, indem sie diese in die Oberfläche ritzen. Manche von ihnen machen sich auch ganz offen über den Feind lustig.

Viele Chatten liegen jetzt bereits schwerverletzt am Boden doch die wütenden Horden stürmen weiter auf uns zu. Wie viele Germanenstämme setzen die Chatten einfach auf brachiale Gewalt als Strategie: eine Woge aus Wut die alles überrollen soll. Das ist ihr Plan. Sobald die Kämpfenden dann aufeinandertreffen, steht ohnehin jeder für sich. Wir Römer hingegen haben ein ganz anderes strategisches Konzept. Unsere Soldaten kämpfen in der Gruppe. Für gewöhnlich siegen wir, weil wir zueinanderstehen und gemeinsam kämpfen.

Mittlerweile sind die Germanen nur noch ca. zwanzig Meter von unseren Hilfstruppen entfernt. Ich brülle meine Legionäre an in vier Reihen Aufstellung zu nehmen. Fest umfassen sie ihre Lanzen. Auf meinen Befehl hin schleudert nun die erste Reihe ihr Pilum und geht danach in die Knie, es folgt die zweite, die dritte und die vierte – eine tödliche – Welle. Aus meiner Zenturie steigen innerhalb weniger Minuten achtzig Wurfspieße in den Himmel, die auf der anderen Seite niedersinken und Körper und Schilde durchbohren. Ein wahres Massaker.

Anschließend erwarten wir den fulminanten Aufprall der wütenden Barbaren. „Die Reihen schließen!“ brülle ich meinen Legionären zu. Die anstürmenden Chatten hingegen ziehen ihre Linien auseinander. Meine Zenturie schließt die Reihen und meine Männer ziehen ihre Schwerter.
Nun stürmen die Chatten mit brachialer Wucht gegen die Reihen der vor uns stehenden Rhaeten an. Gleich werden sie einander Auge in Auge gegenüberstehen. Meine Soldaten stehen sicher. Sie haben Schild und Schwert fest gepackt. Das Abschlachten kann beginnen. Zusammen mit den Auxiliartruppen bilden wir eine lange Reihe Schilde, gegen die die Chatten nun blindlings anrennen. So verlangen es eben seit jeher ihre Vorstellungen von Heldenmut. Für uns hingegen ist die Schlacht eher ein Mannschaftsspiel. Während der eine Legionär kämpft, hält sein Nebenmann den Schild so, dass er die linke Seite seines Kameraden schützt. Und versetzt dem Gegner notfalls einen Stoß mit dem Schild, denn dieser lässt sich auch gut als Angriffswaffe gebrauchen. Zudem zeigt sich jetzt im Nahkampf wieder einmal der Nachteil des Langschwertes gegenüber dem Kurzschwert. Dadurch haben wir leichtes Spiel. Denn diese Langschwerter sind zwar ideal, um dem Gegner einen Hieb zu versetzen. Doch wenn sie ausholen, entblößen sie die ganze rechte Seite. Eine Angriffsfläche die keiner unserer Legionäre verschmäht. Mit voller Wucht stoßen sie den gegnerischen Kriegern ihr auf beiden Seiten geschliffenes Kurzschwert in die Seite.

Jetzt kommt das jahrelange Training der Legionäre im Nahkampf zum Vorschein. Dazu gehört, dass römische Soldaten gelernt haben nicht auf ihre Gegner einzuhauen, sondern sie stattdessen aufzuspießen, indem sie das Schwert mit knappen Armbewegungen möglichst tief in den Körper stoßen. Auch wenn die Wunde nur vier bis fünf Zentimeter tief ist, reicht dies schon: Der Feind stirbt. Außerdem ist so die Gefahr geringer, dass das Schwert im Körper des Angreifers stecken bleibt. Man kann also gleich wieder zu stechen. Der Kampf wogt hin und her und ich brülle meine Legionäre immer wieder an: Tötet sie!“

Plötzlich bekomme ich von der linken Seite einen mächtigen Schlag gegen meinen Schild, der aber nicht kaputt geht. Ein keulenschwingender Hüne ist doch tatsächlich durchgedrungen und greift mich unvermittelt an. Doch ich bin schneller. Einem silbernen Blitz gleich stoße ich ihm die Klinge mit voller Wucht tief in die Kehle. Mit einem lauten Gurgeln sinkt er zu Boden. Im nächsten Moment sehe ich aus dem Augenwinkel einen dunklen Schatten auf mich zukommen. Instinktiv ducke ich mich weg. Doch ich bekomme trotzdem noch einen gewaltigen Hieb auf meinen Kopf. Voller Wut über diese Attacke ramme ich auch diesem Angreifer mein Kurzschwert direkt ins Gesicht, worauf auch dieser röchelnd zu Boden stürzt. Und weil ich gerade so schön in Fahrt bin gleich darauf auch dessen Nebenmann, hat er doch einen Moment gezögert, als er seinen Kameraden fallen sah. Währenddessen rinnt Blut unter meinem Helm hervor und vermischt sich mit meinem Schweiß.

Ich halte kurz inne und bemerke dadurch, dass die vorderste Linie meiner Zenturie erste Schwächen zeigt. Ich muss reagieren. Sofort erteile ich lauthals den Befehl: „Mutatio!“
Die Soldaten der ersten Linie treten daraufhin einen Schritt zurück, die in der zweiten Reihe einen nach vorne. Nun stehen wieder ausgeruhte Kämpfer an vorderster Front, die Barbaren hingegen werden allmählich müde und verlieren den Überblick. Ich beobachte, wie sich die Legionäre im Zentrum des Angriffs halten. Sie sind immer noch in der Lage, die Chatten mühelos zurückzuschlagen.
Nebenbei sehe ich, wie ein Kämpfer der Auxiliartruppen den soeben abgetrennten Kopf eines Feindes an den Haaren packt – mit seinen Zähnen. Szenen wie diese sind allerdings völlig normal unter unseren Hilfstruppen.

Ich selbst habe natürlich keinerlei Überblick auf das gesamte Schlachtgeschehen, kann jedoch nirgends einen Durchbruch der Chatten in meinem Abschnitt erkennen. Über uns ein Hagel von Pfeilen, Steinen und Wurfgeschossen, der vom Hügel aus immer noch auf die Barbaren herniedergeht. Ich ziehe mich nun aus dem unmittelbaren Kampfgeschehen etwas zurück, um mir einen neuen Überblick zu verschaffen. Ich sehe den Hügel hinauf. Da erblicke ich unseren Legaten, der etwas höher auf dem Hügel von seiner Eskorte geschützt steht. Plötzlich erklingen die Hörner, das erwartete Signal zum Gegenangriff erschallt vom Hügel herab. Die Banner werden gesenkt. Ein entscheidender Moment.

Darauf hin stürze ich mich erneut mitten in die Menge und stehe nun wieder zwischen den Schreien, dem Geheul, dem Blut- und Schweißgeruch. Ich schreie meine Männer an, dass wir jetzt zum Gegenangriff übergehen. Einige Soldaten der ersten Reihe sehen mich an. Sie wollen sich vergewissern, dass sie mich im Höllenlärm der Schlacht richtig verstanden haben. Doch meine Haltung ist unmissverständlich: Mit dem Schwert zeige ich nach vorne. Und schon setzt sich die erste Reihe in Bewegung, langsam zuerst, dann aber immer schneller. Ich stelle mich mit meiner Leibwache etwas auf die Seite und achte darauf, dass die Reihen dicht geschlossen, die Schilde ordentlich ausgerichtet bleiben.

Meine Männer rücken nun wie befohlen in geschlossener Formation nach vorne; die linke Seite vom Schild gedeckt, die Rechte mit dem Schwert in der Hand bereit zum Zustoßen. Die Chatten allerdings weichen nicht zurück, sondern halten stolz stand. Als wir auf ihre Reihen treffen, hört vermutlich sogar der Legat, hoch oben auf dem Hügel, das laute Aufeinanderprallen der Schilde. Die Wucht war enorm und zeigt Wirkung. Die Schlacht strebt nun ihren Höhepunkt zu. Tausende von Chatten sind zwar geschwächt, kämpfen aber trotzdem verbissen weiter.

Plötzlich erzittert unter infernalischem Kriegsgeschrei der Boden, denn jetzt greift unsere Reiterei ein. Der Legat hat sie bisher zurückgehalten, nun aber stürmen die Reiter auf die rechte Flanke der Chatten ein. Der konzentrierte Angriff der Berittenen ist zuviel für die tapfer kämpfenden Chatten. Ihre gerade noch festen Reihen beginnen sich langsam zu lösen. Die Reiter stürzen sich auf den Feind wie eine Meute tollwütiger Hunde. Gnadenlos fallen sie über die Flanke des Gegners her, gerade da, wo dieser auf einen Angriff nicht vorbereitet ist. In Panik versuchen die Barbaren zu fliehen und stiften so noch mehr Verwirrung unter den eigenen Männern. Wie es aussieht, hat die Reiterei den Chatten genau im richtigen Moment den entscheidenden Schlag versetzt. Den meisten Chatten wird klar, dass diese Schlacht jetzt verloren ist. Wohin sie den Blick auch richten, sie sehen nur noch die roten Schilde der Legionäre vor sich. Die Mutigeren unter den Chatten kämpfen dennoch unverdrossen weiter, doch der Großteil des Barbarenheeres weiß, dass es vorüber ist und zieht sich zurück. Eine chaotische Masse, die zum Tross zurück will. Doch wir folgen ihnen und wen wir erwischen, denn metzeln wir gnadenlos nieder. Aber in einer letzten verzweifelten Anstrengung gelingt es den Chatten wider Erwarten sich um ihren Tross herum zu sammeln, um eine letzte, effektive Verteidigungslinie zu errichten. Dazu haben sie die Karren zu einer Wagenburg zusammengestellt. Doch mit der Zeit verlöschen allmählich auch die letzen Geister des Kampfgeschehens. Es ist aus. Die wenigen Chatten, die noch am Leben sind, wenden sich erschöpft zur Flucht. Sie tauchen ein in ihre Wälder, verfolgt von unserer Reiterei.

Unter den Legionären fällt die Anspannung. Auf dem Feld erschallen Jubel und die Schlachtrufe der einzelnen Kohorten beziehungsweise Legionen. Aber auch das Wehklagen der Verwundeten ist zu hören. Erschöpft wische ich mir das Blut vom Gesicht und lasse mich ins Gras fallen. Einer meiner Leibwächter, dessen Gesicht eine einzige schmerzverzerrte Grimasse ist, hat eine lange Wunde am Oberschenkel, die ein Arzt gerade versorgt. Trotzdem teilt er mir pflichtbewusst mit, dass von unserer Zenturie, die an vorderster Front stand, zwei Legionäre gefallen sind und fünfzehn verwundet. Ich nicke ihm anerkennend zu und sehe mir als nächstes meinen Helm an. Anscheinend hatte ich wieder einmal großes Glück. Der Hieb hat zwar meinen Helmbusch gespalten, dann aber ist er offensichtlich an der kreuzförmigen Verstärkung abgeglitten.

Jetzt geht es auf Beutesuche, auch ich beteilige mich daran. Jeder der noch auf den Beinen stehen kann, durchsucht die Leichen der Gefallenen und Verwundeten. Wer sich wehrt, erhält umgehend den Gnadenstoß. Ein paar Krieger der Hilfstruppen kommen vorbei und schwenken freudig erregt die frisch abgeschlagenen Köpfe einiger Chatten. Viele gefesselte Barbaren werden zum Sammelplatz für die Gefangenen geführt. Dort sitzen bereits Gefangene mit hinter dem Rücken zusammengebundenen Händen. Auch Frauen. Ihr Blick wirkt leer. Sie wissen, dass sich ihr Leben nun von Grund auf ändern wird.

Die Gefangenen sind wie immer wertvolle Beute, man kann sie auf dem Sklavenmarkt verkaufen. Der so erzielte Gewinn wird auch an uns Legionäre verteilt. Auf dem Schlachtfeld ist es ungewohnt still geworden. Tausende von Körpern ruhen reglos im Dunst, der vom Boden aufsteigt und die Szenerie ins Surreale verzerrt. Überall ragen Pfeile empor oder Bolzen, von Schwertern und Standarten gar nicht zu reden. Sie stehen und liegen durcheinander wie Grabsteine auf einem verlassenen Friedhof. Bald verschluckt sie der Nebel. Ich gehe über das Schlachtfeld. Meine Schienbeinschoner sind blutbefleckt. Auch mein Schild zeigt Dellen von den Hieben, die er abbekommen hat, Kratzer und Blutspritzer.

Die Sonne steht jetzt wie ein roter Ball über dem Horizont. Das abendliche Licht liebkost noch einmal jene, die am Morgen noch junge Menschen voller Stolz und Leben waren. Jemand sagte einmal, dass das Aufeinanderprallen zweier Heere im Grunde der Selbstmord der Soldateska sei. Wer auf einem mit Toten – Freunden wie Feinden – übersäten Schlachtfeld steht, kann dem nur zustimmen. Hier gilt nur ein Gesetz: Mors tua vita mea – Du stirbst, damit ich lebe.

Während ich nun weiter über das Schlachtfeld gehe, halte ich mein Schwert in der Hand, wobei ich aus Erfahrung mit der Spitze immer auf den Toten zeige dem ich mich gerade nähere. Eine Vorsichtsmaßnahme, schließlich könnte ja einer von ihnen noch am Leben sein und Böses im Sinn haben, alles schon mal dagewesen. Dann beuge ich mich über den Leib eines Chatten, der mir schon in der Schlacht aufgefallen ist. Er muss einer der Anführer gewesen sein, jeden falls focht er wie der Teufel. Ein ehrenvoller Feind. Ich beuge mich zu ihm hinab und ziehe ihm einen Ring vom Finger und dazu noch ein schönes Armband von seinem blutverschmierten Handgelenk. Ich nehme auch sein Schwert an mich: ein schönes Erinnerungsstück, das ich meinen Freunden in Mogontiacum zeigen werde. Mittlerweile haben sich auch zahlreiche Raben auf dem Schlachtfeld niedergelassen. Sie sind plötzlich vom Himmel gefallen. Ihr schauriges Gekrächze lockt immer mehr hungrige Artgenossen an. Kein Wunder, es ist angerichtet. Mahlzeit!