Mittwoch, 22. Mai 2013

Das Attentat auf Anwar as-Sadat














Am 6. Oktober 1981 wurde der ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat während einer Militärparade erschossen. Zuvor hatten die Attentäter bei einer religiösen Autorität Rat eingeholt. Die Auskunft, die  ihnen der blinde Scheich Omar Abd El-Rahman erteilte, war allerdings eindeutig zweideutig. Zwar bejahte er die allgemein gestellte Frage, ob es rechtens sei, einen gottvergessenen Führer umzubringen – ob Sadat zu dieser Kategorie gehörte, ließ er jedoch offen.

Die Bewunderung, die Sadat in Europa und Amerika genoss, wurde von seinen Landsleuten nicht geteilt. Von den epochalen Entscheidungen, die ihn im Ausland als weitblickenden Staatsmann auswiesen, sahen sie oft nur die Schattenseiten. Die Vertreibung der sowjetischen Berater und die Öffnung zum Westen hatten an der wirtschaftlichen Misere wenig geändert.
Der Friede mit Israel hatte Ägypten in der arabischen Welt isoliert. Überdies schien es, als habe Menachem Begin seinen Vertragspartner hereingelegt. Zwar ging der Abzug der israelischen Truppen aus der Sinai-Halbinsel programmgemäß vonstatten. Aber der zweite Teil des Abkommens von Camp David, das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, blieb unausgeführt.

Nicht einmal mit der „gelenkten Demokratie“, die den autokratischen Herrschaftsstil seines Vorgängers ersetzte, machte sich Sadat beliebt. Statt sich über die Lockerung der Zügel zu freuen, weckte sie bei den Unzufriedenen Appetit auf mehr. Zu ihnen gehörten auch die islamischen Fundamentalisten, vor allem die „Muslimbruderschaft“.
Ihre Ziele waren die Säuberung der Gesellschaft von westlichen Einflüssen, eine am islamischen Recht der Scharia orientierte Theokratie und die Wiedererrichtung des Kalifats. Sadat war keineswegs der erste ägyptische Staatschef der mit den Muslimbrüdern zusammenstieß. Zwei Premierminister des Königs Faruk wurden von ihnen erschossen. Im Januar 1954 war die Bruderschaft verboten worden, ihre Führer und Hunderte von Mitgliedern verschwanden im Gefängnis. Die frommen Brüder rächten sich durch zwei Mordanschläge, denen Nasser nur durch Zufall entgangen war. Sadats Versuche, seine Gegner mit Milde zu gewinnen - er ließ die Inhaftierten aus dem Gefängnis und gab sich ganz als gläubiger Muslim -, schlugen fehl. Sie nahmen ihm übel, dass seine Politik westliche Sitten ins Land brachte.

Als sich Sadat Anfang 1980 großmütig bereit erklärte, dem todkranken Schah Asyl zu gewähren und kurz darauf den Bau einer interkonfessionellen Begegnungsstätte auf dem Sinai ankündigte, reagierte die orthodoxe Presse mit einem Wutschrei. Am 3. September 1981 schlug Sadat zurück. In einer großangelegten Polizeiaktion ließ er 3000 Fundamentalisten – Geistliche, Politiker, Journalisten und Studenten – verhaften. Zu ihnen gehörte auch Mohammed, der ältere Bruder von Khaled Ahmed Shawki El-Islambouli, einem 23jährigen Oberleutnant der ägyptischen Armee, der wahrscheinlich auf Betreiben seines politisch aktiven Bruders einer fundamentalistischen Zelle beigetreten war, in der die Beseitigung des Präsidenten offen erörtert wurde. Verschiedene Methoden wurden erwogen und wieder verworfen, darunter auch der Abschuss seines Hubschraubers und ein Raketenangriff auf sein Ferienhaus.

Jehan Sadat, die Witwe des Ermordeten, erinnerte sich später: „Der 6. Oktober gehörte zu den wenigen Tagen von Tausenden, an denen ich nicht um das Leben meines Mannes bangte. So sicher war ich, dass Anwar an diesem ganz besonderen Tag keine Gefahr drohte, dass ich beinahe nicht an der traditionellen Militärparade in Nsr City teilgenommen hätte. Stattdessen wollte ich mir die Parade mit Anwars Zustimmung gemeinsam mit meinen drei Töchtern im Fernsehen ansehen. Weil mir ein Sicherheitsoffizier Vorwürfe machte, als er entdeckte, dass ich nicht beabsichtigte, mit Anwar an der Feier teilzunehmen, änderte ich meinen Entschluss in letzter Minute und fuhr doch noch hin.“

Als Khaled zur Parade am 6. Oktober eingeteilt wurde, mit der die Streitkräfte alljährlich ihre Anfangserfolge im Krieg von 1973 feierten, waren sich die Betbrüder keineswegs einig.
Abd El-Salem Farag, der geistliche Steuermann der Truppe, hielt die Gelegenheit für günstig und setze sich durch. Khaled sollte bei der Parade einen Lastwagen kommandieren. Die Anordnung, keine scharfe Munition mitzuführen, war die geringste Hürde. Schwieriger war es, die übrige Besatzung des Lastwagens gegen drei Mitverschwörer - den Sergeanten Hussein Abbas Mohammed, den Ingenieur Ata Tayel Hemida Raheel und den Buchhändler Abd El-Salam Abd El-A’al, keiner von ihnen älter als dreißig Jahre - auszutauschen. Doch es gelang, und der Fahrer war nicht in das Komplott eingeweht.

Als der LKW an der Tribüne vorbeifuhr, zog Khaled seinen Revolver und zwang den Fahrer anzuhalten. Danach sprang er aus dem Wagen, lief auf die Tribüne zu und schleuderte eine Handgranate in Richtung des Präsidenten. Im gleichen Augenblick eröffnete Abbas Mohammed, ein mehrfach ausgezeichneter Scharfschütze, das Feuer. Schon der erste Schuss aus seinem Maschinengewehr traf Sadat am Hals. 30 Sekunden beherrschten die Verschwörer in dem heillosen Durcheinander die Szene. Khaled hatte schließlich die Bühne erklommen und schoss Kugel um Kugel in den zusammengesunkenen Körper des Präsidenten.

Da er eine neue, in London geschneiderte Uniform trug und nicht dick erscheinen wollte, hatte Sadat abgelehnt, eine kugelsichere Weste zu tragen. Außer ihm kamen sieben Menschen ums Leben; 28, darunter Vizepräsident Mubarak, wurden verletzt. Nach der Verhaftung seines Bruders hatte Khaled in sein Tagebuch eingetragen: „Der höchste Lohn winkt einem Gläubigen, wenn er im Namen Gottes tötet oder getötet wird.“
Auf die Frage, ob er denn gar nicht an seine Familie gedacht habe, antwortet er: „Ich habe ihn umgebracht, aber schuldig bin ich nicht. Was ich getan habe, geschah für meinen Glauben und mein Vaterland.“ Der Staatsanwalt wollte wissen, ob es nicht unmoralisch sei, den Mann zu töten, der Ägypten den Weg zur Demokratie gewiesen habe. „Von welcher Demokratie sprechen Sie? Etwa von der englischen, wo das Oberhaus soeben ein Gesetz verabschiedet hat, das die  Homosexualität legalisiert? Ist das Demokratie?“

Von den 24 Angeklagten wurden die vier Täter und Farag zum Tode verurteilt. Die beiden Soldaten wurden am 15. April erschossen, die drei Zivilisten gehenkt. Alle anderen erhielten lange Freiheitsstrafen. Nur zwei der Angeklagten wurden freigesprochen. Einer von ihnen war der blinde Scheich, den die Attentäter um ein Gutachten gebeten hatten.

Im Frühjahr 1995 saß er wieder auf der Anklagebank, diesmal in New York. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, bei dem Bombenanschlag auf das World Trade Center die Hand im Spiel gehabt zu haben und darüber hinaus einen Komplott islamischer Fundamentalisten für weitere Terroraktionen seinen Segen gegeben zu haben. Diesmal wurden er und seine Gefolgsleute zu langen Gefängnisstrafen verurteilt.

Heutzutage sind die Muslimbrüder an der Macht. Und Frau Merkel schüttelte dem Muslimbruder Mursi sogar die Hand und empfing ihn mit militärischen Ehren. Was für ein Schlag ins Gesicht all derer, die für die Demokratie angetreten waren.